Winterlingen

Winterlinger Mordprozess: Gutachten auf dem Prüfstand

23.10.2018

von Michael Würz

Eigentlich scheint die Sache klar: Im Winterlinger Mordprozess hat der Angeklagte gestanden, seine Frau erschossen zu haben. Knifflig wird es nun im Detail.

Ein Waffensachverständiger, eine DNA-Analytikerin, eine Expertin für Schmauch und Ballistik, eine Beamtin, die den Tatort in 3D vermessen hat: Das baden-württembergische Landeskriminalamt ist am Dienstagmorgen in Mannschaftsstärke angerückt, um der großen Strafkammer in Hechingen seine Gutachten zu präsentieren. Die – für das Strafmaß möglicherweise wichtige – Frage, wie genau sich die Tat am 1. April in Winterlingen abgespielt hatte, konnten die Gutachter jedoch nicht restlos aufklären. Vielmehr beurteilte am Ende auch der Staatsanwalt die Rekonstruktion der Tat als „keine runde Sache“. Vor allem deshalb, weil sich die Rekonstruktion der LKA-Experten im Detail nicht mit Zeugenaussagen deckt. Und weil nicht klar wurde, welche Schüsse letztlich zum Tod der Frau geführt haben. Zwei soll der Mann dem Gutachten zufolge mit Abstand abgefeuert haben, drei mit aufgesetztem Lauf.

Winterlinger Mordprozess: Gutachten auf dem Prüfstand

© Michael Würz

Kaltblütiger Mord oder ein eskalierter Streit mit schrecklichem Ende? „Es ist deutlich differenzierter, als sich die Anklageschrift liest“, sagen die beiden Verteidiger des Angeklagten, Carsten Kühn aus Balingen und Michaela Spandau aus Stuttgart.

Doch wie präzise sind die Aussagen der Zeugen, wie präzise können die Zeugenaussagen der traumatisierten Kinder überhaupt sein? Und wie verlässlich sind die Gutachten? „Es ist eine Möglichkeit, wie es gewesen sein könnte“, ordnete am Ende eine Beamtin des LKA ihre Ausführungen ein. „Wir bestehen nicht darauf, dass das richtig sein muss.“ Sie hatte gemeinsam mit anderen Ermittlern den Tatort vermessen und den Ablauf der Tat rekonstruiert.

Die Verteidiger sehen ihre Position nach dem heutigen Verhandlungstag gestärkt: „Die Beweisaufnahme hat die Anklage der Staatsanwaltschaft nicht bestätigt“, sagte Rechtsanwältin Michaela Spandau dem ZOLLERN-ALB-KURIER. „Die Sache ist deutlich differenzierter.“ Was Spandau meint: Ob der Mann, der die Tat grundsätzlich gestanden hat (wir berichteten), seine Frau aus niederen Beweggründen erschossen hat, ob es also ein kaltblütiger Mord oder aber das Ende eines eskalierten Streits war, ist aus Sicht der Verteidigung bislang nicht geklärt. „Ein Streit, der ein ganz schreckliches Ende genommen hat“, wie Spandau betont. Sie seien optimistisch, sagen die Verteidiger, dass das Gericht ein gerechtes Urteil fällen wird.

Die Richter freilich arbeiten vorzugsweise mit hieb- und stichfesten Beweisen; einige konnte der Waffensachverständige des LKA liefern: Die Beretta 70 ist funktionsfähig, die Hülsen am Tatort waren Waffe und Munition eindeutig zuzuordnen.

Eine vielbenutzte Waffe

Bei der Pistole, die der Täter seinen eigenen Angaben zufolge von seinem Vater erhalten hatte, handele es sich um eine Waffe in „stark genutztem Zustand“, eine Waffe, die „stark in Gebrauch war“. Eine Waffe, die – folgt man den Ausführungen des Bruders des Opfers – in die Hände eines Mannes gelangt war, der seine Frau hörig machen wollte (weitere Aussagen von Angehörigen). Der in der Vergangenheit immer wieder angekündigt haben soll, seiner Frau etwas anzutun, sollte sie sich von ihm trennen. „Der vielleicht auf dem Fußballplatz nie die gelbe Karte gesehen hatte, im Leben aber die rote verdient gehabt hätte“, wie eine Zeugin heute sagte, bei der das spätere Opfer eine Zeit lang geputzt hatte. „Ich habe mich aufgeregt, weil der Mann nach der Tat in den Medien viel zu freundlich beschrieben worden ist“, erklärte die Frau ihre Motivation, sich nach der Tat an die Polizei zu wenden.

Denn: Immer wieder habe die Frau blaue Flecken gehabt, immer wieder habe sie berichtet, von ihrem Mann geschlagen worden zu sein, sogar als sie schwanger war. Als sie schließlich ausziehen will und sich ans Jugendamt wendet, bittet sie die Bearbeiterin ihres Falls, nicht zu Hause anzurufen. Zu groß ist da bereits die Angst vor ihrem Mann. „Es war auch für mich eine schwere Situation“, schilderte heute die junge Sozialpädagogin des Landratsamts. Immer wieder habe sie sich mit ihrem Team besprochen, den Chef um Rat gefragt. Doch am Ende konnten sie auch im Jugendamt das Schlimmste nicht verhindern, wie zuvor bereits die Polizei nicht. Nicht, als die Frau sich einst an den Polizeiposten Winterlingen gewandt hatte (eine Zeugin: „Dort nahm man sie nicht ernst“), nicht, als die Polizei vor der Tat zu Hause bei der Familie war, nachdem die Frau ihren Mann verdächtigt hatte, ihr 10 000 Euro gestohlen zu haben.

Dass ein Unfall ihren Mann vor Jahren aus der Bahn geworfen haben soll – das hatte die Frau nicht gelten lassen, war heute zu hören. Der Mann hatte sich seither mit Gelegenheitsjobs durchgeschlagen, war mal bei Zeitarbeitsfirmen angestellt, wurde mal bei der Arbeitsagentur vorstellig – auf dem Postweg oder telefonisch, wie sein Sachbearbeiter vor Gericht erklärte. Außerdem arbeitete der Angeklagte als Wachmann in der LEA Meßstetten. Am Ende machte er laut dem Vorsitzenden Richter Dr. Hannes Breucker, der den Prozess mit viel Fingerspitzengefühl führt, noch eine Sanitäterausbildung in der Landesschule des Roten Kreuzes.

Einmal sei das spätere Opfer bereits im Frauenhaus gewesen. Warum sie dort nicht blieb? Der Kinder wegen, vermutet der Bruder. Der Rest der Familie habe nicht gewollt, dass sie zu ihrem Mann zurückgeht. „Ich werde es auch hoffentlich überleben“, sagte die Frau, als sie endgültig ausziehen wollte. „So schnell stirbt man nicht“, sagte ihre ehemalige Arbeitgeberin damals. Sie sei froh über den Entschluss gewesen, habe ihr Mut machen wollen.

Noch vor dem Umzug kommt es zur schrecklichen Tat.

 

So geht es weiter

Fortsetzung Am Donnerstag wird ab 9 Uhr im Winterlinger Mordprozess weiterverhandelt. Vor dem Landgericht Hechingen soll dann unter anderem die Notärztin aussagen, die am Tatabend vergebens um das Leben des Opfers gekämpft hatte. Ebenso ein Ermittler des Rottweiler Kriminaldauerdiensts und der Vormund der Kinder – die Frau soll vor Gericht detailliert berichten, wie es den Kindern nach der Tat ergeht.

Plädoyers Bereits am Freitag könnten dann – sollte der Prozess planmäßig verlaufen – Staatsanwalt, Nebenkläger und Verteidiger ihre Plädoyers halten. Damit könnte das Urteil möglicherweise früher als erwartet fallen.

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