Balingen

Neuer Takt fürs Herz des Balinger Nahverkehrs

15.11.2018

von Nicole Leukhardt

Halbstunden-Takt und Rufbus: Es sind große Veränderungen, die den Balinger Stadtbusverkehr künftig effizienter fließen lassen sollen. Statt warmer Luft sollen gezielt dort Fahrgäste transportiert werden, wo Bedarf besteht.

Es ist ein Paradigmenwechsel“, sagt Hartmut Jaißle, wenn er von der Zukunft des Balinger Stadtverkehrs spricht. Jaißle ist Nahverkehrsberater und weiß sprichwörtlich, was in Balingen läuft.

Neuer Takt fürs Herz des Balinger Nahverkehrs

© Pascal Tonnemacher

Die Haltestelle am Hauptwasen in Balingen könnte bald wegfallen.

Am Dienstag stellte er im Verwaltungsausschuss der Stadt neue Ideen vor, wie es noch besser laufen könnte.

Denn zu Ende gehende Verträge mit der Balinger Busfirma Maas haben die Verwaltung dazu bewogen, sich generell Gedanken um Strecken, Haltestellen und Mobilität in Balingen und seinen Ortsteilen zu machen.

„Das bisherige System war optimal auf Schüler abgestimmt“, taucht Jaißle in die Geschichte öffentlichen Verkehrs der Eyachstadt ein. In den Achtziger Jahren haben man begonnen, den Schülerverkehr zu öffnen und Fahrten für die Öffentlichkeit dazwischen zu schieben.

„Vor 25 Jahren schließlich wurde der Verkehr großflächig und sinnvoll überplant, aber damals gab es noch keinen Naldo und keinen Verkehrsverbund“, sagt Jaißle. Und in 25 Jahren, fügt er an, passiere viel. Die Buspläne seien immer wieder an den veränderten Zugplan angepasst worden.

„Die Firma Maas hat immer wieder Wohngebiete angeschlossen und Wünsche erfüllt, der letzte war die Haltestelle Rote Länder in Weilstetten“, erzählt der Verkehrsberater. Heute fahren in Balingen vier Busse, oft sind sie sehr schwach besetzt oder gar leer. „Da wird warme Luft befördert“, sagt Jaißle. Damit soll bald Schluss sein.

Ein Halbstunden-Takt bei den Linien

Die größte Änderung, der Paradigmenwechsel, wird die neue Taktung sein. „Künftig fahren die Linien in einem Halbstundentakt“, erklärt Jaißle. Denn die Fahrpläne seien im Lauf der Jahre immer komplexer geworden. „Mal lief die Ringroute in die eine, mal in die andere Richtung“, beschreibt der Experte den Status quo. Künftig sollen viele Linien linear, also von Punkt A über B nach C und zurück über B nach A laufen.

„Ringrouten werden weiterhin bestehen, aber sie werden nicht mehr gegenläufig, sondern immer in derselben Richtung bedient“, fügt Jaißle an. „Ideal wäre es, wenn jeder wüsste, der Bus an meiner Haltestelle kommt zum Beispiel immer um viertel und um dreiviertel“, erklärt Jaißle. Damit soll auch der Busplan einfacher werden. Dies wünschte sich Georg Seeg in der Sitzung des Ausschusses am Dienstag.

Ausnahme: Masse an Schülern soll pünktlich ankommen 

Eine Ausnahme wird es nach wie vor für die Schüler geben. „Zu den Hauptzeiten können wir den Takt nicht halten, da müssen wir zusehen, dass wir die Masse an Schülern pünktlich in die Schulen und wieder nach Hause befördern“, sagt der Fachmann.

Doch auch sie könnten in den Randzeiten vom Takt profitieren.

Rufbusse sollen einzelne Wohngebiete anfahren

Große Veränderungen wird es in einzelnen Wohngebieten geben. Streichen, den kompletten Binsenbol und den Stadtteil Schmiden könnte künftig ein Rufbus anfahren. Der Schulverkehr soll davon unbenommen bleiben.

Auch im Endinger Wohngebiet Schlikkuchen könnte eine Haltestelle für einen solchen Rufbus eingerichtet werden. „Auch ein Rufbus hat einen Fahrplan“, beschreibt Jaißle das Konzept.

„Allerdings ist dieser als Angebot zu verstehen. Wenn keiner etwa eine Stunde vor der gewünschten Fahrt anmeldet, dass er mitgenommen werden möchte, kommt der Bus auch nicht“, sagt er.

Ob über eine App, über den heimischen Computer oder herkömmlich übers Telefon: „Hauptsache der Busfahrer, der bereit steht, weiß, wo jemand mitgenommen werden möchte“, sagt der Fachmann.

Wo bisher vier Busse mit vier Fahrern unterwegs seien und oft unnötige Leerfahrten absolvierten, könnten sich künftig drei Busse auf den regulären Plan konzentrieren, während der vierte als Rufbus eingesetzt wird.

Meldet sich kein weiterer Fahrgast an, nimmt der Rufbusfahrer den kürzesten Weg zum gewünschten Ziel und fährt die übrigen Haltestellen auf der Route gar nicht an. „Ich könnte mir auch vorstellen, dass kein großer Omnibus, sondern ein Auto oder ein Kleinbus die Rufbuslinie bedient“, so Jaißle.

Balingen hat überdurchschnittlich viele Haltestellen

Dann nämlich könnten einige Gebiete auch feingliedriger erschlossen werden, „dort, wo ein Bus schlecht hinkommt“, erklärt er. Weit zu Fuß gehen müsse aber bisher ohnehin keiner.

„Es ist nachgewiesen, dass viele Menschen eine Strecke von 300 bis 500 Metern bis zu einer Bushaltestelle in Kauf nehmen, weiter nicht“, sagt der Verkehrsexperte.

In Balingen könne man von Luxus sprechen, was die Ausstattung von Haltestellen angeht. „Aber er wird kaum genutzt“, bedauert Jaißle. Die Mitfahrer der einzelnen Strecken wurden gezählt. „Manchmal sind die Zahlen unterirdisch“, meint er.

Für einige Strecken habe die Erhebung ergeben, dass eine Busverbindung fehl am Platz ist. Am Hauptwasen in Balingen nahe der Heselwanger Straße etwa habe man eigens eine Bushaltestelle eingerichtet. „Aber da fährt nie jemand mit“, beschreibt Jaißle, was die Untersuchungen ergeben hätten. Die Konsequenz: Diese Haltestelle wird ersatzlos gestrichen. 

Kein Bus für Erzingen aus rechtlichen Gründen

Nicht immer hat die fehlende Busverbindung jedoch etwas mit mangelndem Interesse zu tun. „Uns sind beispielsweise in Erzingen aus rechtlichen Gründen die Hände gebunden“, erklärt Oberbürgermeister Helmut Reitemann. Dort nämlich fahre die Südbadenbus GmbH (SBG).

„Wir dürfen zu diesem Beförderer kein Konkurrenzangebot schaffen“, sagt Hartmut Jaißle. Ganz früher hätte dieser Bus nur an der Bundesstraße gehalten, dann habe er eine Haltestelle am Dorfplatz angefahren.

„Das heißt, er musste von Rottweil kommend zweimal links abbiegen, nach Erzingen hinein und wieder hinaus, das hat manchmal Minuten gedauert“, beschreibt Jaißle den Grund, weshalb die Haltestelle wieder aufgegeben wurde. Nun wird sie nur noch von einer Linie der SBG angefahren.

In Endingen sieht er die Lage ein wenig entspannter. „Von der Fläche her ist Endingen groß genug, dass wir eine Stadtverkehrshaltestelle auf Schlikkuchen einrichten könnten“, beschreibt Jaißle. Auch dies eine Überlegung der Feinplanung, die er mit der Stadtverwaltung jetzt ausbaldowert.

Jetzt wird genauer geplant

Wie die Linie 14, die Frommern und Weilstetten an die Kernstadt anbindet, oder die Linie 24 künftig laufen, ob es weitere Haltestellen in der Nähe von Seniorenheimen geben könnte und ob über die Notwendigkeit einzelner Haltestellen womöglich jede Ortschaft zuerst mit ihren Bürgern in den direkten Dialog gehen möchte – „all das ist im Moment noch Zukunftsmusik“, sagt Jaißle.

„Wir wollen stark frequentierte Linien stärken und die wenig genutzten ersetzen oder umstrukturieren“, erklärte Helmut Reitemann in der Sitzung.

Der Verwaltungsausschuss stimmte mit zwei Enthaltungen zu, den Vertrag mit der Firma Maas bis zum 31. Dezember 2019 zu verlängern. Am 27. November entscheidet der Balinger Gemeinderat darüber.

„Es gibt uns Zeit, uns an die Feinjustierung zu machen“, sagt Jaißle, der viele Jahre beim Landratsamt in Balingen tätig war und die Stadt gut kennt. „Busfahren hat etwas mit Tradition zu tun“, sagt er.

„Wo schon immer eine Buslinie gehalten hat, sind die Leute gewohnt, auch mal das Auto stehen zu lassen“, erklärt er. In Balingen soll die Tradition des Busfahrens erhalten und gepflegt werden. „Und dem Umweltgedanken nach auch ausgebaut“, sagt Jaißle.

 

Stimmen aus der Verwaltung und den Ortschaften

Werner Jessen, Freie Wähler: „Wir dürfen das neue Konzept nicht auf dem Rücken der Schüler austragen. Die Probleme mit schwach besetzten oder gar leeren Bussen sind uns bekannt. Aber Schüler sind nach wie vor die Hauptnutzer des ÖPNV und sie sollten auch nach wie vor höchste Priorität haben. Ob wir das mit dem 30-Minuten-Takt hinkriegen, da hab ich meine Zweifel. Natürlich soll das neue Konzept Leerfahrten verhindern, dennoch soll es auch in Zukunft nicht wesentlich mehr Geld kosten als bisher.“

Heinz Jenter, CDU: „Man darf Schüler nicht warten lassen, das ist unser stärkstes Potenzial. Der Rufbus, der für Streichen kommen soll, wird nur funktionieren, wenn die Leute nicht ewig unterwegs sein müssen, um nach Balingen zu kommen.“

Ute Hettel, Bündnis 90/Die Grünen: „Der bisherige Busverkehr ist eine Benachteiligung einer kleinen Ortschaft, nämlich Erzingen. Der Bus fährt von dort alle zwei Stunden mal nach Rottweil. Rechtliche Gründe um Konzessionen hin oder her, die Erzinger Bürger und Ortschaftsvertreter wünschen sich wenigstens einen Rufbus.“

Wolfgang Schneider, Ortsvorsteher von Weilstetten: „Ich begrüße das neue Konzept. Im Wesentlichen ist es eine sinnvolle Leistungsumschichtung, von der alle am Ende profitieren. Uns ist wichtig, ein konstantes überschaubares Angebot und leicht lesbare Pläne zu erschaffen. Dafür haben wir jetzt ein Jahr Zeit.“

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