Zollernalbkreis

Albverein auf Sinnsuche: „Uns fehlt das Team Heimat“

16.11.2018

von Nicole Leukhardt

Eine Landschaftspflegeaktion, die für wenige helfende Hände zum Mammutprojekt wird, überalterte Ortsgruppen und Nachwuchssorgen: Drei „alte Hasen“ erzählen vom Status quo und warum sie dennoch die Hoffnung nicht aufgeben.

Ein bisschen ratlos sind Günther Vossler und Karl Seemann schon. Die beiden Weilstetter Albvereinler hatten im September zur Naturpflegeaktion an Lochen und Schafberg aufgerufen.

Albverein auf Sinnsuche: „Uns fehlt das Team Heimat“

© WFG

Alblandschaft, wie sie schöner nicht sein könnte: der Lochenstein.

Seit 40 Jahren kümmern sich die Mitglieder des Schwäbischen Albvereins um die Kulturlandschaft vor ihrer Haustür. Was vor Jahren einmal ein Hand-in-Hand-Arbeiten mit vielen Helfern war, wurde in diesem Jahr zu einer Mammutaufgabe für wenige.

„Früher kamen da 50 bis 60 Leute zusammen“, erzählt Günther Vossler. In diesem Jahr waren es gerade einmal noch zwölf.

Ursache ist unklar

Woran das liegt? „Wenn wir das wüssten“, entgegnet Vossler. Der Vorsitzende der Albvereinsortsgruppe kann sich keinen rechten Reim auf die Situation machen.

Dass das Interesse an der Natur bei seinen Mitbürgern nicht vorhanden ist, daran glaubt er nicht. „Jeder genießt die schöne Natur, wandert, walkt“, sagt er. Allein, wenn es ums Anpacken und Mithelfen geht, sei die Bereitschaft plötzlich gering.

Karl Seemann formuliert es ähnlich. „Das Team Heimat fehlt“, sagt er. Er ahnt zumindest, woran das liegen könnte. „Das Freizeitverhalten der Menschen in den vergangenen Jahren hat sich verändert, die Konkurrenz ist mittlerweile riesig“, sagt er.

Viel Konkurrenzangebot für Jüngere

Kinder und Jugendliche seien längst abgeworben von Sport- und Musikvereinen. „Das Angebot ist heute vielfältig“, fasst Günther Vossler zusammen. Und auch andere Vereine buhlen um Nachwuchs. 

Ähnlich sieht es auch Josef Ungar. Er ist Vorsitzender des Albverein-Zollergaus. „Wir motivieren die jungen Leute schon, aber inwieweit das Gehör findet ...“, beginnt er nachdenklich.

Immerhin investiere der Albverein, der eine Geschäftsstelle mit Hauptamtlichen in Stuttgart unterhält, viel Geld in Nachwuchsförderung und Jugendarbeit. „Dort gibt es extra einen Fachmann, der Ortsgruppen unterstützt, die etwas für Familien und Jugend unternehmen“, erzählt Josef Ungar.

„Albverein hatte schon bessere Zeiten“

Der Zollergau zählt derzeit 40 Ortsgruppen, in denen rund 7000 Mitglieder organisiert sind. Auch Ungar weiß, dass der Albverein schon bessere Zeiten hatte. „In den letzten 20 Jahren hat der Gesamtverein 20 000 Mitglieder verloren, allein im Zollergau waren das um die 1000“, erzählt er.

Das Gau Oberer Neckar habe sich sogar komplett aufgelöst. „Das ist in der Vereinsgeschichte seit 1888 einmalig“, sagt Ungar. Drei Ortsgruppen seien dem Zollergau beigetreten, eine weitere habe sich aufgelöst.

Eines der Hauptprobleme: die Überalterung. „Früher bot ein Verein die seltene Möglichkeit, mit dem Bus mal an den Bodensee zu fahren bei einem Ausflug“, erklärt Ungar. Eine Mitgliedschaft war allein deswegen schon attraktiv. „Heute fährt jeder wohin und wann er will“, beschreibt er die Situation.

Überalterung ist ein Problem

Davon kann auch die Weilstetter Ortsgruppe ein Lied singen. „Wir haben 104 Mitglieder und der Altersdurchschnitt liegt bei 69,7 Jahren“, sagt Karl Seemann.

Man dürfe nicht erwarten, dass sich Jugendliche von alleine einem Albverein zuwenden. Da sind sich alle drei einig. „Nichts geht über die persönliche Kommunikation mit den Leuten“, sagt der Gauvorsitzende.

Wenn man sich in einem Ort die Mithilfe anderer Vereine erhoffe, müsse man deren Mitglieder ohne Scheu ansprechen. „Wenn ich jemanden direkt frage, ob er mithelfen könnte, sagen die meisten zu“, sagt Ungar.

Mehr Mithilfe bei kleinen Ortsgruppen

In kleineren Gemeinden sei der Weg von Mensch zu Mensch offenbar kürzer als in der Stadt. „Es gibt kleine Ortsgruppen, die tun sich besonders hervor“, erzählt Josef Ungar. „Wenn da eine Aktion stattfindet, dann hilft der ganze Flecken.“

„Das ist eine Mentalitätsfrage“, glaubt auch Karl Seemann. Je größer die Stadt, desto breiter das Angebot, desto geringer das Interesse am Albverein.

Josef Ungar glaubt deshalb, dass man früh ansetzen, bei den Kleinsten ein Bewusstsein für die heimatliche Natur wecken muss. „Die Erziehung der Kinder ist auch unsere Aufgabe, wir sind ihr Vorbild“, sagt er.

Denn die vielen Kilometer an Wegen, die der Albverein pflegt und instand hält, würden schließlich auch von Familien genutzt. „Wir haben einmal eine Märchenwanderung angeboten“, erinnert sich Günther Vossler.

„Das war der Renner, alle fanden es toll“, erzählt er. Aber als er dann in die Runde gefragt hatte, wer sich eine Mitgliedschaft im Albverein vorstellen könne, war das Interesse gleich null. 

„Die Entwicklung macht mir durchaus Sorgen“, sagt auch Josef Ungar, der den Blick aufs große Ganze hat. „Wenn ein Wegewart heute in einer Ortsgruppe mit 80 Jahren aufhört, dann findet er keinen Nachfolger mehr, weil uns die jungen Leute einfach fehlen“, erzählt er.

Wenig Wertschätzung für Ehrenamt

„Wer will so was heut noch machen?“, fragt er. Ein bisschen könne er das sogar verstehen. „Die Wertschätzung dem Ehrenamt gegenüber ist in der Gesellschaft kaum noch vorhanden“, zieht er ein Fazit.

„Man wird auch als Vorsitzender oft nur für das gescholten, was man alles nicht macht. Wie viel Arbeit so ein Amt macht, sieht meist keiner.“ Besonders und persönlich habe ihn die Anzeige getroffen, die sich gegen Mitglieder einer Ortsgruppe wandte.

„Die Pflegeaktion auf dem Plettenberg im vergangenen Jahr, die uns als illegale Rodungsaktion ausgelegt wurde, war sehr wohl mit der Naturschutzbehörde abgestimmt“, erklärt Ungar. Dass der Albverein damals in eine Ecke gestellt, er selbst persönlich bedroht worden sei, habe ihn sehr belastet. 

„Die Trendwende wird kommen“

Aber ganz so trübsinnig will Ungar dann doch nicht über die Zukunft des Vereins denken, der ihm seit vielen Jahrzehnten am Herzen liegt. „Ich bin überzeugt davon, dass eine Trendwende kommen wird“, sagt er.

Die gute Nachwuchsarbeit werde sich früher oder später auszahlen. „Die Kinder, die wir heute von der Natur und ihrer Heimat begeistern können, die werden sich irgendwann an den Albverein erinnern, wenn sie das richtige Alter haben“, ist er zuversichtlich.

Zusammenhalt steht im Fokus

Denn schließlich, das ist ihm wichtig, bestehe der Verein nicht nur aus Pflegearbeiten und Arbeitseinsätzen. „Der Zusammenhalt in einem Verein ist etwas ganz Wichtiges, das soziale Gefüge einer solchen Gemeinschaft bereichert einen persönlich und gibt mir zum Beispiel sehr viel“, sagt er.

Wie sehr sich ein Verein um seine Mitglieder bemühe und wie groß das Engagement ist, sei ein wesentlicher Erfolgsfaktor. 

Mehr Werbung muss sein

Auf eine ähnliche Entwicklung hoffen auch Günther Vossler und Karl Seemann. Sie sparen nicht mit Selbstkritik. „Wir haben vielleicht zu wenig die Werbetrommel gerührt und müssen in Zukunft noch aktiver sein“, sagt Vossler.

Denn es sei schlicht schade, wenn man zwar immer von den Balinger Bergen spreche, das Echo aus der Bevölkerung vor der Tür aber fehle. „Unsere Heimat ist aber nicht zum Nulltarif zu erhalten“, sagt Karl Seemann.

Albverein auf Sinnsuche: „Uns fehlt das Team Heimat“

© WFG

Die vierbeinigen Nutzer der Wachholderheiden.

Josef Ungar geht sogar noch einen Schritt weiter: „Es darf nicht soweit kommen, dass es keinen Albverein mehr gibt.“ Denn der Verein decke mit seinen Angeboten und Leistungen so viele Facetten in Punkto Kultur, Naturschutz, Brauchtum und Freizeitangebot ab, dass er nicht mehr aus der Alb-landschaft wegzudenken sei.

„Ich sage immer, ihr merkt erst, was euch fehlt, wenn es den Albverein einmal nicht mehr gibt“, sagt Josef Ungar. Aber daran wollen weder er noch seine Mitstreiter aus Weilstetten denken.

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