Balingen

Das Glück ist so zerbrechlich wie Glas

20.03.2019

von Silke Thiercy

Die Glasmenagerie von Tennessee Williams begeisterte das Balinger Theaterpublikum.

Eine Seitenstraße irgendwo in St. Louis. Der Welt steht der zweite Weltkrieg bevor und die Familie Wingfield kämpft auf dem persönlichen Schlachtfeld um das große, kleine Glück. Die Inszenierung der Komödie am Kurfürstendamm unter der Regie von Schauspiellegende Katharina Thalbach zeigt Tennessee Williams' Glasmenagerie in gewaltiger Tiefe, präsentiert vom ZOLLERN-ALB-KURIER..

Das Glück ist so zerbrechlich wie Glas

© Silke Thiercy

Zerbrechlich wie Glas ist das kleine persönliche Glück: die Komödie am Kurfürstendamm Berlin brachte am Samstag „Die Glasmenagerie“ auf die Balinger Bühne.

Drei Generationen Thalbach – das waren am Samstagabend Regisseurin Katharina Thalbach, Anna Thalbach als Mutter Amanda Wingfield und die 1995 geborene Nellie Thalbach in der Rolle der Tochter Laura. Bruder Tom wurde gespielt von Louis Held, der „Verehrer“ Jim O'Connor von Sven Scheele. Der erlaubte sich einen kleinen Gag als Reminiszenz an den Auftritt bei den Schwaben: er nannte ein Möbelstück Tischle.

Reduziertes Bühnenbild. Sparsame Kulisse. Darin die Akteure, die mit grandiosem Spiel das 1944 uraufgeführte Stück auf die Bretter der Kreisstadt brachten. Schade, wieder einmal, dass so viele Plätze im Wohnzimmer der Kulturstadt leer blieben. Auch, weil die Schauspieler mit gewaltiger Freude die mit vielen autobiografischen Zügen des 1983 verstorbenen Autors versehene Geschichte spielten, fast lebten.

„Was fangen wir mit dem Rest unseres Lebens an?“, fragt die Mutter. Sie wurde von ihrem Mann verlassen, Knall auf Fall, lebt nur in der Erinnerung an ihre glanzvolle Jugend in den Südstaaten mit schwarzen Bediensteten und siebzehn Verehrern, die es eines Tages im Haus zu verteilen galt. Ganz anders die Tochter. Sie ist gehbehindert – Williams Schwester Rose war psychisch krank. Auch die Laura im Theaterstück hat einen Knacks. Sie bricht die Schule ab, verweigert sich der Arbeitswelt und flüchtet sich zu winzigen Tieren aus Glas. Ihrer Glasmenagerie.

„Spiel der Erinnerungen“ ist der eigentliche Titel des Stücks. Und es sind allen voran die Erinnerungen von Tom. Der hat seinen Alltag als einfacher Arbeiter in einem Lagerhaus mehr als satt. Er will in der Welt der Worte, der Gedichte leben. Wie aber, wenn die allmächtige Mutter allgegenwärtig sich in das Leben des jungen Mannes einmischt? Er sucht einen Ausweg. Krieg in Europa. Marine.

Ja, sie alle wollen raus aus der Tristesse der kargen Wohnung. Hinein in ihre Träume, die unerreichbar scheinen. Es geht um Selbstfindung. Um Realitätsflucht. Die Mutter will ewig das umschwärmte Mädchen sein. Die Tochter liebt das gläserne Einhorn. Der Sohn sucht die Flucht im Kino, den Abenteuern auf Celluloid, dem Alkohol.

Das Schweigen, die Sprachlosigkeit – mit jeder noch so kleinen Regung bis ins fast unerträglich Treffende verkörpert von den Schauspielern. Sie leben auf der Bühne die Hoffnung. Die Verzweiflung. Die Trauer um ein nie gelebtes, verlorenes Leben. Gänsehautmomente, immer wieder. Zum Beispiel, wenn Louis Held (Tom) Anna Thalbach (Mutter Amanda) als „hässliche, sabbernde, widerliche, alte Hexe“ betitelt. Schweigen bei ihr. Das sie irgendwann nur durch Wasserkraft brechen kann. Der Sohn knickt ein. Einmal mehr in seinem jungen Leben.

Und Laura? Einmal im Leben war sie verliebt. In Jim. Das Jahrbuch mit seinen Fotos hütet sie fast ebenso sehr, wie ihre Glassammlung. Dass ausgerechnet er ein Arbeitskollege des Bruders ist und von der hysterischen Mutter als künftiger Gatte gesehen wird, obwohl dieser noch nie zuvor zu Gast bei den Wingfields war – Autor Williams ist damit ein Coup gelungen, der bis heute zieht. Denn an der Highschool nannte Jim die schüchterne Laura „blaue Rose.“ Die küsst er beim gemeinsamen Abendessen.

Aber: er hat seine Betty. Wird heiraten. Lauras vage Hoffnung zerspringt wie das fragile gläserne Einhorn, das beim ersten und letzten gemeinsamen Tanz zu Bruch geht. Nun ist es ein ganz normales Pferd wie alle anderen in der Sammlung auch.

Und Laura, vielleicht, so „gewöhnlich wie Unkraut“. Nach einem fast dreistündigen Theatermarathon und minutenlangem Applaus bleibt ein intensiver Abend mit einer Geschichte, die lange nachhallt.

Auch dank der emotionalen Darstellung.

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