Fussball

TSG-Geschäftsführer Jonathan Annel im Interview: „Kritik basiert auch auf Einzelinteresse“

09.05.2024

Von Marcel Schlegel

TSG-Geschäftsführer Jonathan Annel im Interview: „Kritik basiert auch auf Einzelinteresse“

© MOSCHKON

Jonathan Annel ist knapp ein Jahr im Amt bei der TSG Balingen. Der Geschäftsführer musste dabei schwierige Entscheidungen treffen.

Jonathan Annel leitet die Geschäfte der TSG-Fußballer. Der Tübinger musste im letzten Jahr einige schwierige Entscheidungen treffen. Unter anderem wurde Martin Braun freigestellt und Murat Isik als neuer Cheftrainer geholt.

Ein Trainerwechsel ist meist der letzte Schritt. Diesen hat die TSG im Winter durchgezogen, sicher auch mit der Hoffnung, das Ruder nochmals rumzureißen. Nun steht der Abstieg fest. Warum war der Transfer von Murat Isik dennoch der richtige Schritt?

Jonathan Annel: Natürlich ist es schade, dass der Abstieg nicht verhindert werden konnte. Aber auf lange Sicht war das die richtige Entscheidung.

Was macht Isik anders oder besser als Martin Braun?

Ein solcher Vergleich hinkt immer und deswegen möchte ich ihn auch nicht machen. Wir haben die sportliche Situation im Herbst damals isoliert betrachtet und kamen zum Schluss, dass es einen Wechsel, ein neues Projekt braucht, um die Mannschaft für die Zukunft zu wappnen. Und dafür war ein neuer Trainer notwendig.

Warum?

Weil durch ihn neue Ideen in Mannschaft und Verein fließen, das hat es nach unserer Auffassung gebraucht. Danach beurteilen wir den Schritt auch aktuell – weniger nach Punkten oder Tabellenstand, mehr danach, ob wir eine neue Handschrift sehen.

Und sieht man diese?

Ja, aufs Kollektiv bezogen, sehen wir diese Veränderungen auf jeden Fall. Wenn wir die Entwicklung auf einzelne Spieler beziehen, erkennt man auch hier, dass einige deutliche Fortschritte gemacht haben, zum Teil Jungs aus den eigenen Reihen, was uns besonders freut. Mut macht zudem, dass sich die Mannschaft trotz des feststehenden Abstiegs und erheblicher personeller Ausfälle nicht aufgibt. Nach fünf Niederlagen gab es zuletzt zwei Siege in Folge.

Dennoch steigt man ab. Kam der Schritt zu spät?

Unser erster Blick geht nie auf die Tabelle, sondern richtet sich nach der Prämisse, dass Verein und Mannschaft besser werden. Wir haben Martin Braun, der der TSG ihre größten Erfolge bescherte, sehr viel zu verdanken. Er hat über Jahre hinweg Spieler entwickelt und die TSG mit seiner Handschrift geprägt. Geschaut haben wir aber auf die genannte Prämisse und da sahen wir Handlungsbedarf.

Braun hatte im letzten Sommer Neuverpflichtungen gefordert, die er nicht bekam. Isik im Winter dann schon. Warum?

Im Sommer waren diese Transfers schlichtweg nicht möglich.

Man gewinnt den Eindruck, dass die Kritik auch aus dem direkten Umfeld größer wird, von Spielern, von Zuschauern. Stimmt das?

Kritik betrachte ich zunächst einmal als etwas Gutes, solange sie konstruktiv geäußert ist; Feedback bringt einen immer weiter. Auch zeigt es, dass der Verein vielen Menschen wichtig ist und diese sich auch mit der TSG beschäftigen.

Und wenn die Kritik schärfer wird?

Dann schaue ich nüchtern auf die Gesamtsituation: Bei der TSG ging es fast immer aufwärts, es ist der erste Abstieg seit Jahrzehnten – klar, dass die Kritik dann lauter wird. Außerdem gab es bei der TSG in den Jahren zuvor vor allem viel Konstanz, nun aber haben wir zuletzt auch zahlreiche Veränderungen forciert, die notwendig waren, aber natürlich auch polarisieren. Und solche Schritte darf man dann auch hinterfragen. Weiterhin basiert manche Kritik auch auf Einzelinteresse. Wenn ein Spieler etwa nicht mehr so oft zum Einsatz kommt, ist es nur logisch, dass dieser nicht zufrieden ist. Wir aber müssen das Gesamtwohl des Vereins im Fokus haben.

Die Kritik von der Tribüne wurde ebenfalls lauter, haben Sie das auch bemerkt?

Natürlich nimmt man das wahr. Aber man muss eben immer auch sehen, dass Zuschauer und Fans nicht alle Informationen und Hintergründe haben. Ich vermute, dass für den ein oder anderen auch deswegen manche Entscheidungen weniger verständlich waren. Wir versuchen zwar Transparenz herzustellen, das geht jedoch immer nur bis zu einem gewissen Grad.

Verdiente Spieler gehen von Bord. Verliert die TSG ihre DNA?

Wenn man die DNA mit Personen assoziiert, dann hat sich hier natürlich in den letzten Jahren einiges verändert. Für uns ist die DNA aber etwas anderes: Wir binden diese an den oft beschriebenen „Balinger Weg“ und den verbinden wir vor allem mit Einsatzbereitschaft, Werte-Gebundenheit und Spielern aus der Region, die diese Tugenden und Werte vorleben und den Weg mit uns gehen wollen. Natürlich ist es schade, dass uns verdiente Spieler verlassen, die diese Werte und die Vereinsidentität verkörpert haben. Aber auch der „Balinger Weg“ hat Rahmenbedingungen und an diese sind wir gebunden. Deswegen können wir auch nicht alle Spieler halten, sosehr wir uns das wünschen würden.

Was kann und will man Positives aus den letzten Spielen mitnehmen?

Dass wir diese Spiele nutzen, um die Spielidee des Trainers weiter auf den Platz zu bekommen und dafür, dass sich jeder Einzelne selbst auch weiterentwickelt. Losgelöst von den Ergebnissen haben wir in den letzten Wochen eine Mannschaft gesehen, die alles gegeben hat und das kann auch einen Schub für die kommende Runde in der Oberliga geben, weil es die Stimmung hebt. Wir hoffen, dass zu unserem vorerst letzten Heimspiel nochmals viele Spieler kommen. Das haben die Jungs sich verdient, nachdem sie der Region viele schöne Fußball-Erlebnisse in den letzten Jahren beschert haben.

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