Hechingen

Bei Tempo 50 keine Überlebenschance: NABU-Hechingen beklagt Rückgang der Amphibien

26.03.2024

Von Olga Haug

Bei Tempo 50 keine Überlebenschance: NABU-Hechingen beklagt Rückgang der Amphibien

© Julia Siedler

Mit Straßensperren hilft die NABU-Gruppe Hechingen Amphibien bei der Wanderung – wie hier beim Hausener Hof.

Seit Februar sind Kröten, Mulche und andere Amphibien in Hechingen unterwegs. In diesem Jahr zum ersten Mal drei Wochen früher als üblich. Die NABU-Gruppe Hechingen beklagt einen Rückgang der Amphibienpopulation und sagt: Autos allein sind nicht schuld. Zu wenige Gewässer und zu heiße Sommer sind ebenso ein Problem.

In diesem Jahr waren die Amphibien so früh wie noch nie unterwegs, sagt Brigitte Brenner, Vorstandsmitglied der NABU-Gruppe Hechingen.

+++ Jetzt kostenlos abonnieren: der ZAK-Whatsapp-Kanal +++

Der Grund: ein zu milder Februar. Normalerweise wandern Kröten, Frösche, Salamander, Lurche oder Molche erst Mitte März zu ihren Laichgründen, um dort ihre Eier abzulegen. Also dann, wenn es frostfrei und wärmer ist und nachdem es geregnet hatte, erklärt Brigitte Brenner im Gespräch mit unserer Zeitung.

Wanderung dauert vier bis sechs Wochen

Nach einer Periode mit kalten Nächten war der bisherige Höhepunkt der Wanderung zwischen dem 9. und dem 14. März, teilt die NABU-Gruppe Hechingen öffentlich mit. Dieses Jahr starteten die Tiere ihre Reise zu den Gewässern, in denen sie sich selbst von der Kaulquappe zum Frosch oder zur Kröte gewandelt haben, bereits drei Wochen früher. Das meistanvisierte Ziel: der Amphibienteich beim Hausener Hof. Vier bis sechs Wochen dauert die Wanderung in der Regel. So könnte die diesjährige Wanderung bereits drei Wochen früher zu Ende sein.

Und in der Tat: Der Großteil der Wanderung ist schätzungsweise schon vorbei. „Vor rund einer Woche hatte es geregnet und da waren schon etliche Tiere wieder auf dem Rückweg“, sagt Eckhart Rommel, zuständig für den Amphibienschutz und täglich in Hechingen unterwegs, um nach dem Rechten zu sehen. Dass die Amphibien auf dem Rückweg sind, erkenne man daran, dass die Weibchen keinen dicken Bauch mehr haben und dass die Tiere nicht mehr in Massen, sondern vermehrt einzeln unterwegs sind. Das macht die Rückwanderung mitunter weniger gefährlich.

„Manche stellten die Straßensperren einfach beiseite und fuhren trotzdem durch“

Die Tempo-30-Schilder, die entlang der Lindichstraße abends aufgestellt werden, sind bald also weg, ebenso die mobile Abschrankung auf dem Sträßchen zwischen dem Hausener Hof und Weilheim – das eigentlich ohnehin nicht für den öffentlichen Verkehr frei ist. Vor rund 15 Jahren hatte die NABU-Gruppe das erste Mal an dem Sträßchen eine Schranke aufgestellt. Damals stieß das teilweise auf Unverständnis. „Manche stellten die Straßensperren einfach beiseite und fuhren trotzdem durch“, erinnert sich Brenner. Heute haben die allermeisten akzeptiert, dass hier für vier bis sechs Wochen gesperrt ist – zumindest in den Abend- und Nachtstunden.

Strömungsdruck wirkt tödlich

Allgemein seien die Autofahrer sensibler geworden, meint Brenner. Das sieht ihr NABU-Kollege Eckhart Rommel etwas kritischer: „Die wenigsten halten sich an das Tempo 30“, meint Rommel. Weil sie seiner Ansicht nach die Gefahr unterschätzen: „Viele haben keine Vorstellung davon, was es bedeutet, wenn sie schneller als 30 fahren.“ Es geht nämlich nicht allein darum, dass die Tiere tatsächlich unter die Räder gelangen, sondern vielmehr um den Strömungsdruck, der beim Vorbeifahren entsteht und die Tiere tötet. Schon bei Tempo 50 hätten Kröten und andere kaum eine Überlebenschance, erklärt auch Professor Dietrich Hummel, Fachmann für Aerodynamik, in einem NABU-Interview.

Population ist gesunken

Auch wenn Amphibienschutz-Experte Eckhart Rommel in den letzten Jahren einen Rückgang an überfahrenen oder getöteten Tieren beobachtet hat, habe das seiner Ansicht nach kaum etwas mit der Sensibilität der Autofahrer zu tun. Der Grund ist ein anderer – ein alarmierender: Die Population ist gesunken. Und das liegt vor allem an den zu langen Trockenphasen im Sommer. Amphibien trocknen aus und finden kaum noch Nahrung. Vor allem der Grasfrosch und die Erdkröte sind davon betroffen, erklärt Rommel. Abende, wie damals 2016, als beim Hausener Hof Hunderte Kröten saßen, die gebe es nicht mehr, erinnert sich Rommel sorgenvoll.

Fische fressen Eier und Larven der Amphibien

Ein weiteres Problem: Es gebe zu wenig Teiche, sagen Rommel und Brenner unisono. Es sei wichtig, möglichst viele Amphibiengewässer zu erhalten. Begonnen hatte das Engagement der NABU-Gruppe Hechingen vor rund 15 Jahren am Eisweiher, wo die Gruppe regelmäßig Krötenzäune aufgestellt hatte. „Das machen wir heute nicht mehr“, sagt Brenner, denn der Amphibienbestand dort sei inzwischen minimal. Der Grund: Im Eisweiher gibt es Fische und die fressen die Eier und Larven der Amphibien oder sogar die ausgewachsenen Tiere.

In einem Teich beim Hausener Hof gebe es sogar Goldfische, sagt Rommel. Gewiss von Menschen bedenkenlos reingesetzt, ist der Amphibienschutz-Experte überzeugt und kritisiert: „Das ist verheerend für die Amphibien.“ Der Schutz der Tiere hört also nicht beim Schilder-Aufstellen und Straßen-Sperren auf. Das Problem ist weitaus tiefgreifender.

Diesen Artikel teilen: